CHRISTINE KRÖGER

ADI - der unbekannte Richtwert

In einer Gesellschaft, in der Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten stetig zunehmen, ist das Bewusstsein über das, was wir täglich konsumieren, von entscheidender Bedeutung. Ein wichtiger, jedoch weitgehend unbekannter Aspekt in der Ernährung ist der Akzeptable Tageshöchstwert für die Aufnahme (ADI) von Zusatzstoffen. Dieser Wert gibt an, wie viel von einem bestimmten Zusatzstoff eine Person täglich über die gesamte Lebensdauer ohne erkennbares Risiko für die Gesundheit konsumieren kann. Trotz seiner Bedeutung ist der ADI unter Verbrauchern kaum bekannt und wird selten auf Lebensmittelverpackungen deklariert, was eine informierte Entscheidungsfindung erschwert.

Die Idee hinter dem ADI ist, Risiken bei der Aufnahme von Zusatzstoffen in Lebensmitteln zu minimieren, aber – und das ist der springende Punkt – nicht alle Stoffe sind gleich und Wechselwirkungen mit anderen Zusatzstoffen werden nicht berücksichtigt. 

Was ist der ADI und warum ist er wichtig?

Der ADI (Akzeptabler Tageshöchstwert für die Aufnahme) wird von internationalen Behörden wie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt. Er basiert auf umfangreichen wissenschaftlichen Bewertungen und gibt die Menge eines Lebensmittelzusatzstoffes an, die täglich über die gesamte Lebenszeit ohne gesundheitliches Risiko verzehrt werden kann. Zu den Zusatzstoffen gehören Konservierungsmittel, Farbstoffe, Antioxidantien und Geschmacksverstärker.

Die Festlegung des ADI dient dem Schutz der Verbraucher, indem sie sicherstellt, dass die Aufnahme von Zusatzstoffen unter einem sicheren Niveau bleibt. Dies ist besonders relevant, da einige Zusatzstoffe bei übermäßigem Verzehr gesundheitliche Probleme verursachen können, darunter allergische Reaktionen, hormonelle Störungen oder sogar Krebsrisiken.

Die Probleme mit dem ADI

1. Allgemeine Bemessung des ADI

Der ADI wird oft kritisiert, weil er auf sehr allgemeinen Daten und Tiermodellen basiert und individuelle Unterschiede in der Bevölkerung, wie Alter, Gesundheitszustand und genetische Faktoren, nicht berücksichtigt. Die Festlegung des ADI erfolgt auf der Basis von Durchschnittswerten und unter Berücksichtigung eines großen Sicherheitsfaktors. Dabei wird von einem durchschnittlichen Körpergewicht und einer durchschnittlichen Lebensdauer ausgegangen, individuelle Unterschiede in Metabolismus, bestehenden Gesundheitsbedingungen oder genetischen Faktoren bleiben jedoch unberücksichtigt.

Dann ist da noch die Sache mit der »durchschnittlichen Verzehrmenge«. Hier kommt das Konzept ins Schwanken. Der ADI wird für »Durchschnittsverbraucher« berechnet. Aber wer zum Teufel ist eigentlich dieser Durchschnittsverbraucher?Nehmen wir an Sie lieben bestimmte Lebensmittel oder Getränke, die reichlich mit einem bestimmten Zusatzstoff versetzt sind. Ihr Konsum könnte leicht das Vielfache der »durchschnittlichen Menge« sein. Aber keine Sorge, der ADI hat sich ja an einem imaginären »Durchschnitt« orientiert. Sie sind über dem Durchschnitt? Pech gehabt.

 

2. Fehlende Deklaration auf Produkten

Obwohl der ADI eine wichtige Information für den Verbraucherschutz darstellt, wird er selten direkt auf Lebensmittelverpackungen deklariert. Dies lässt Verbraucher oft im Unklaren darüber, wie viel eines Zusatzstoffes sie tatsächlich konsumieren. Für den durchschnittlichen Verbraucher sind ADI-Werte nahezu unsichtbar. Der typische Konsument hat weder das Wissen noch die Mittel, um die Menge der konsumierten Zusatzstoffe genau zu bestimmen und sie mit den ADI-Werten zu vergleichen.

Die genaue Überwachung der Aufnahme von Zusatzstoffen ist für den Durchschnittsverbraucher praktisch unmöglich, da die Angaben auf den Produkten oft unvollständig sind oder gänzlich fehlen. Zudem variieren die ADI-Werte je nach Zusatzstoff erheblich, was die Situation weiter kompliziert.

 

3. Unbekanntheit unter Verbrauchern

Die Existenz und Bedeutung des ADI sind daher den meisten Verbrauchern nicht bekannt. Ohne dieses Wissen ist es aber schwierig, informierte Entscheidungen über die eigenen Essgewohnheiten zu treffen, besonders wenn es um Produkte mit hohen Levels von Zusatzstoffen geht.

Trotz der Wichtigkeit des ADI für die Lebensmittelsicherheit ist dieser Wert den meisten Verbrauchern unbekannt. Lebensmittelverpackungen und Etiketten bieten selten klare Informationen über die Menge der enthaltenen Zusatzstoffe im Vergleich zu den ADI-Werten. Diese Informationslücke erschwert es den Konsumenten, bewusste Entscheidungen über ihre Ernährung zu treffen und ihren täglichen Konsum von Zusatzstoffen zu regulieren.

Das ist die Krux: Einerseits wird uns durch die Festlegung eines ADI-Wertes Sicherheit suggeriert, andererseits wird uns die Möglichkeit genommen, diesen Richtwert im Alltag umzusetzen. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass wir Verbraucher die genauen Mengen von Zusatzstoffen in allen konsumierten Lebensmitteln prüfen, den ADI recherchieren und dann abwägen, wie viel wir jeweils essen und trinken dürfen. Der ADI-Wert basiert zudem auf den Werten eines gesunden Erwachsenen. Aber was ist mit Kindern, älteren Menschen oder chronisch Kranken? Diese Gruppen haben oft völlig andere metabolische Raten und Reaktionen auf Chemikalien. Beim ADI scheinen sie zu einer Randnotiz degradiert zu sein. 

Fallbeispiele und ihre Implikationen

Beispiel 1: Aspartam

Aspartam, ein weit verbreiteter künstlicher Süßstoff, hat einen ADI von 40 mg pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Bei einem 70 kg schweren Erwachsenen entspricht dies 2800 mg pro Tag. Die meisten Light-Getränke enthalten etwa 180 mg Aspartam pro Dose, was bedeutet, dass theoretisch bis zu 15 Dosen täglich konsumiert werden könnten. Ohne die Kenntnis des ADI könnten Verbraucher jedoch deutlich mehr konsumieren, insbesondere wenn sie gleichzeitig andere aspartamhaltige Produkte verzehren.

Beispiel 2: Natriumnitrit

Natriumnitrit wird häufig in der Fleischverarbeitung verwendet und hat einen ADI von 0,07 mg pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Dieser niedrige Wert spiegelt die potenziellen Gesundheitsrisiken bei Überschreitung wider, einschließlich der Bildung krebserregender Nitrosamine. Die fehlende Transparenz auf Lebensmitteletiketten macht es schwierig, die tatsächliche Aufnahme zu überwachen und kann unbewusst zur Überschreitung des ADI führen.

Wechselwirkungen nicht berücksichtigt

Sprechen wir noch über die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zusatzstoffen. Im Supermarkt finden sich Zusatzstoffe selten allein. Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Chemikalien in unserer Nahrung können das Risiko deutlich erhöhen, aber ADI-Werte betrachten Zusatzstoffe in einer isolierten Blase, so als ob sie in unserer Ernährung einzeln auftreten würden.

Der ADI vermittelt eine Illusion von Sicherheit, während er die komplexe Realität unserer Ernährungsgewohnheiten, die Vielfalt der menschlichen Biologie und die unvorhersehbaren Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zusatzstoffen geflissentlich ignoriert. Aber wie so oft in der Wissenschaft und besonders in der Ernährungswissenschaft liegt der Teufel im Detail, und diese Details sind im ADI häufig nicht zu finden.